In diesem Jahr wurden in der Schweiz bereits 14 Frauen (Stand Ende Oktober 2022) von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Jede ist eine zu viel, hinterlässt Angehörige und womöglich Kinder, die von einem Tag auf den anderen beide Elternteile verlieren, und schwer traumatisiert sind.

Für die Mitarbeiterinnen von Solidarité femmes gehört die Auseinandersetzung mit schwerer Gewalt und deren Prävention zum Arbeitsalltag. Dazu gehören eine Risikoanalyse, das Angebot einer Schutzunterkunft und die Sicherheitsberatung für Frauen, die vorläufig in einer gewaltvollen Partnerschaft bleiben oder zu ihm zurückkehren.

16tage keyvisualDie jährlich stattfindenden 16 Tage gegen Gewalt widmen sich dieses Jahr dem Thema Feminizid. Neben der Arbeit mit direkt Betroffenen, braucht es diverse Massnahmen auf struktureller und gesellschaftlicher Ebene, um Häusliche Gewalt zu verhindern. Vom 25.11. bis 10.12.2022 finden in Biel vielfältige Veranstaltungen statt, die sich mit dem Thema auseinandersetzen: Vom Selbstverteidigungskurs für Mädchen bis zum Theaterstück mit anschliessender Podiumsdiskussion.

Die meisten Feminizide finden im Kontext Häuslicher Gewalt statt. Besonders gefährdet sind Frauen, welche sich Hilfe holen, ankündigen, sich trennen zu wollen oder sich soeben getrennt haben. Genau in diesen Momenten haben wir Mitarbeiterinnen von Solidarité femmes Kontakt mit diesen Frauen: Sie erstarken, lassen sich über ihre Rechte aufklären, wollen sich aus dem Teufelskreis der gewaltvollen Beziehung lösen. In jedem Gespräch behandeln wir daher die Sicherheit der Frau und deren Kinder prioritär. Wir müssen uns dabei auf die Schilderungen der Frau verlassen, haben aber auch Risiko-Analyse-Tools zur Verfügung, um das Potenzial eines Täters für schwere Gewalt bis hin zur Tötung einzuschätzen. Als Hochrisikofaktoren gelten dabei u.a. eine Veränderung der Qualität der Gewalt in den letzten 6 Monaten (brutaleres Vorgehen), Waffenbesitz, das Aussprechen von Morddrohungen sowie frühere Delikte des Täters gegen Leib und Leben Dritter.

Neben den Risikofaktoren gilt es auch, die Schutzfaktoren eines Täters zu erfragen. Zu diesen zählen ein Zuhause zu haben, eigene Kinder, ein intaktes soziales Umfeld, Arbeit, geistige und materielle Ressourcen, Reputation, Gesundheit, Handlungsalternativen, Selbstwertgefühl, Würde. Der Verlust dieser Schutzfaktoren wiederum erhöht das Risiko für schwere Gewalt, insbesondere, wenn das Selbstwertgefühl des Täters enorm niedrig ist. Kommt der Täter zur Haltung: «Ich habe ohnehin nichts mehr zu verlieren», steigt das Aggressionspotenzial gegen seine (Ex-)Partnerin, und je nach Wertesystem auch gegen sich selber. In einem patriarchalen Machtverständnis führt dies dann zu folgendem Denken: «Wenn ich dich nicht haben kann, dann auch sonst niemand».

Kommen wir zum Ergebnis, dass unsere Klientin sehr gefährdet ist, raten wir ihr zu strengen Schutz- und Sicherheitsmassnahmen, einem Aufenthalt im Frauenhaus und einem Kontakt- und Annäherungsverbot für den Täter. Ebenso kontaktieren wir im Einverständnis mit der Klientin das Bedrohungsmanagement der Kantonspolizei Bern, welche uns im weiteren Vorgehen berät und im Gegensatz zu uns mit dem Täter in Kontakt treten kann, z.B. in Form einer Gefährderansprache.

Auch wenn eine Frau entgegen unserem Anraten zum Täter oder in ihre eigene Wohnung zurückkehrt, können wir ihr eine Verhaltensberatung sowie eine anwaltliche Vertretung anbieten, um sich so gut wie möglich vor weiteren Angriffen zu schützen und sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Sind Kinder gefährdet, verständigen wir die KESB.

So lässt sich das Risiko für einen Feminizid minimieren.

Aber längst nicht alle Frauen finden rechtzeitig Zugang zu Hilfe.

Um weitere Feminizide zu verhindern, braucht es neben unserer Beratungstätigkeit in der Opferhilfe weitergehende Massnahmen: Mehr Schutzplätze für gefährdete Frauen und ihre Kinder, den Ausbau von Täterarbeit, flächendeckende Präventions- und Sensibilisierungsarbeit sowie kritisches Reflektieren von Geschlechterrollen in der Schule, eine Verschärfung der Waffengesetze, die konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention in der Schweiz, eine sensibilisierte Berichterstattung in den Medien und last but not least: Die Gleichstellung der Geschlechter auf allen Ebenen.

Dafür setzen sich neben Solidarité femmes verschiedene Organisationen und Gruppierungen ein und machen dies vom 25.11. bis 10.12.2022 im Rahmen der 16 Tage gegen Gewalt sichtbar. In Biel und in der ganzen Schweiz sind Aktionen und Veranstaltungen geplant, welche sich auf vielfältige Weise mit dem Thema Feminizid auseinandersetzen.

Weitere Informationen dazu finden Sie unter https://www.16jours-bielbienne.ch/

Schauen Sie doch am Samstag, den 26.11.2022 von 9-12h am Infostand in der Bieler Altstadt vorbei! Wir freuen uns auf Sie!

Kontakt für Medienanfragen: Melanie Kuhn
Telefon von Solidarité femmes: 032 322 03 44
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